Einen aktuellen Überblick über das Wunschdenken und die Wirklichkeiten, mit denen das weltweite Facility Management bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestands konfrontiert ist, gibt eine neue Studie der TU Darmstadt. Unter dem Titel „Decarbonization of the Building Stock and its Operation: The Role of Facility Managers“ haben Professor Andreas Pfnür, Martin Christian Höcker und Jonas Rau vom Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre der TU Darmstadt, in Zusammenarbeit mit der International Facility Management Association (IFMA) und dem Deutschen Verband für Facility Management e.V. (gefma), ermittelt, dass die Bedeutung, Motivation und Hürden der Dekarbonisierung des Gebäudebestands weltweit stark variieren. Dazu wurden über 300 verantwortliche Facility Manager in Europa, Asien und Nordamerika befragt.
Globale Einigkeit und regionale Unterschiede
Globale Einigkeit herrscht über die Notwendigkeit zur Dekarbonisierung von Gebäuden und ihrem Betrieb. Dennoch gebe es laut der Studie deutliche regionale Unterschiede: So werden in Europa 69 Prozent der Befragten aufgefordert, entsprechende Maßnahmen umzusetzen, in Asien 66 Prozent und in Nordamerika nur 57 Prozent. Die Motivation für die Dekarbonisierung reicht von Eigeninitiative über rechtliche und wirtschaftliche Erwägungen bis hin zu bestehenden Reportingpflichten. In Asien und Europa hat das Thema besonders an Bedeutung gewonnen, da über zwei Drittel der Facility Manager hier angeben, dass der Druck zur Dekarbonisierung von der Geschäftsleitung der Bestandshalter ausgeht.
Aktiv werden ohne Ressourcen?
Obwohl das Thema Dekarbonisierung also relevant ist und sogar den Status Chefsache hat, hakt es in der westlichen Welt noch oft in der Umsetzung. So fehlen laut der Studie bis zu 62 Prozent der europäischen und 49 Prozent der nordamerikanischen Organisationen die internen Ressourcen zur eigenständigen Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor. Auffällig dagegen ist, dass in Asien nur 25 Prozent der Befragten angaben, dass die Unternehmen dort ähnliche Probleme haben.
Als Beispiele für die Probleme in der Praxis führt die Studie an, dass es nicht gelinge, „ressourcenbezogene Aufgaben wie die Beschaffung erneuerbarer Energien und die Umstellung auf energieeffizientere Geräte, tatsächlich umzusetzen“. Finanzielle Engpässe und Fachkräftemangel stellen dabei die größten Herausforderungen dar. Nur 25 Prozent der Befragten in Europa verfügen etwa über ausreichende finanzielle Mittel. Der Fachkräftemangel ist besonders in Deutschland gravierend, wo 81 Prozent der Befragten diesen als erhebliches Problem einstufen. Auch bezüglich IoT- und datenbezogenen sowie gebäude- und prozessbezogenen Aufgaben zeigen sich laut der Studie „erhebliche Diskrepanzen zwischen Relevanz und Umsetzung“.
Potenziale der datengetriebenen Dekarbonisierung
Das Wissen um die Notwendigkeit von Maßnahmen und die Bedeutung intelligenter Gebäudetechnologien für die Dekarbonisierung ist dabei durchaus vorhanden, heißt es in der Studie. Je nach Region erkennen dies zwischen 93 Prozent und 97 Prozent der Befragten an. Dennoch erfolge der Datenaustausch zwischen Gebäudebetrieb und anderen beteiligten Akteurinnen und Akteuren häufig nur über manuelle Datenexporte, und weniger als die Hälfte der Befragten nutzt Schnittstellen oder direkte Datenzugriffe. Obwohl das Facility Management als geeignete Quelle zur Sammlung von Gebäudedaten angesehen wird, fehlt es den Befragten zu 42 Prozent (Europa) bzw. zu 50 Prozent (Nordamerika) an ausreichender Infrastruktur zur effektiven Erfassung der Daten. Facility Manager sehen sich zukünftig verstärkt in einer beratenden Rolle, um ihre Expertise bei der Dekarbonisierung einzubringen. Viele Unternehmen suchen deshalb nach langfristigen Lösungen durch Kooperationen mit professionellen Dienstleistern im Facility Management, die zur ökologischen Transformation beitragen sollen.
Die Ergebnisse der Studie fassen die Autoren in neun Kernaussagen zusammen:
Kernaussage 1: Die Dekarbonisierung des Gebäudebestands und des Gebäudebetriebs ist weltweit von großer Bedeutung. Allerdings sind die Intensität der Bedeutung und die Gründe für diese Relevanz international unterschiedlich. Dabei wird das Facility Management in Nordamerika vor allem marktlich getrieben, in Asien und Europa von rechtlichen Pflichten.
Kernaussage 2: Organisationen stehen vor der Aufgabe, ihren Gebäudebestand und -betrieb zu dekarbonisieren, was sie allein kaum bewältigen können. Es fehlt ihnen an internem Fachwissen, um die ehrgeizigen Ziele umzusetzen, die wahrscheinlich nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit professionellen externen Partnern erreicht werden können.
Kernaussage 3: Dem Facility Management kommt eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestands und -betriebs zu. Schon heute sieht sich die Branche selbst als Treiber der ökologischen Transformation, denn ohne Facility Management sind die gesetzten Ziele kaum zu erreichen.
Kernaussage 4: Das Gebäudemanagement ist bereit, die Dekarbonisierung des Gebäudebestands und -betriebs in Angriff zu nehmen, und hat die Hebel erkannt, die zur Erreichung der Dekarbonisierung eingesetzt werden können. Allerdings fehlt es den Facility Managern offenbar an den notwendigen Ressourcen, um das große Potenzial zu nutzen.
Kernaussage 5: Fehlende finanzielle Mittel sind die höchste Hürde der Dekarbonisierung von Gebäudebestand und -betrieb.
Kernaussage 6: Das Facility Management verfügt über umfassendes Know-how bei der Umsetzung der Dekarbonisierung von Gebäudebestand und betrieb. Eigentümer und Unternehmen verlassen sich bei der Dekarbonisierung ihrer Immobilien auf ihr Wissen – ein Beweis für die Abhängigkeit der Branche vom Facility Management bei der Erreichung der Klimaziele.
Kernaussage 7: Mit dem Fachkräftemangel geht ein erhebliches Risiko einher, dass die Dekarbonisierung des Gebäudebestands und des Gebäudebetriebs an einem Mangel an Facility Managern scheitert, die identifizierte Strategien umsetzen. Für politische Entscheidungsträger ist dies ein entscheidendes Problem, das gelöst werden muss, um die Klimaziele insgesamt zu erreichen.
Kernaussage 8: Facility Manager sehen in der Digitalisierung von Gebäuden und Verwaltung große Chancen, die gesetzten Dekarbonisierungsziele zu erreichen. Diese Digitalisierung muss, möglicherweise aufgrund vermeintlicher Effizienzvorteile, auch vor dem Hintergrund des Personalmangels (Kernaussage 7) prioritär vorangetrieben werden.
Kernaussage 9: Die Facility Management Branche hat das Potenzial, ihr Geschäft massiv auszubauen. Sie verfügen nicht nur über das technische Know-how, das sie nach ihrer Selbsteinschätzung haben, sondern können auch von ihrer Nähe zu Gebäuden und ihrem Betrieb profitieren. Damit können sie bestehende Abhängigkeiten nutzen und die Abhängigkeit der Auftraggeber durch Datennutzung und technische Kompetenz weiter aufbauen.
Die vollständige Studie mit zahlreichen Grafiken und umfangreichem Zahlenmaterial kann auf der Website der TU Darmstadt heruntergeladen werden. Auf der Website der IFMA findet sich darüber hinaus eine illustrierte Version.